29.8.10

Warum ich Jäger bin

Jeder von uns Jägern kennt die Frage: Warum bist Du Jäger?"
Der Journalist Karl Lüönd hat sich zu dieser Frage geäußert und es ist ein Beitrag entstanden , dem ich vorbehaltlos zustimme.

Sein Beitrag wurde im Onlinemagazin des Züricher Tagesanzeigers veröffentlicht.


Warum ich Jäger bin
von Karl Lüönd


30 000 Jäger gehen in der Schweiz auf die Pirsch, um Tiere zu töten. Ein Hobby, das vielerorts Befremden und Misstrauen auslöst. Doch Jagen sei nichts Grausames, sondern etwas Magisches, schreibt Karl Lüönd


Anfang September beginnt die Hochwildjagd. Dieses Jahr hat die Kontroverse um den im Wallis abgeschossenen Wolf die Gemüter schon in der Schonzeit erhitzt und die Probleme um Jäger und Gejagte, um widerstreitende Nutzungsansprüche und gegensätzliche Naturwahrnehmung offengelegt. «Wie bitte, Sie jagen?», höre ich dann und wann. Oder, etwas tückischer und hörbar gedehnt: «So, so, Jäger . . . Du bist einer von denen, die Tiere töten. Wie erklärst du das deinen Kindern? Hast du noch Blut an den Händen? Und was macht ihr eigentlich mit dem Wildbret?» Befremden und Misstrauen sind fast körperlich spürbar. Es sieht so aus, als sei die Jagd definitiv nicht (mehr) gesellschaftsfähig. Die Zeiten sind vorbei, da in guten Zürcher und Berner Bürgerfamilien der Jagdpass – wie das Offizierspatent, der Fechtunterricht und das Zunftwappen – zum selbstverständlichen Lebensgepäck männlicher Nachkommen gehört hat. Der Zeitgeist ist definitiv in Richtung Golfplatz abgebogen. In der Wildbahn geblieben sind die wirklich Passionierten, die ihr Engagement durch Zeitaufwand und Kompetenz beglaubigen. Derzeit sind rund 30 000 Schweizerinnen und Schweizer Jäger, eine verschwindende Minderheit, Tendenz stagnierend. Ich bin froh, ihr anzugehören, denn die Jagd bereichert seit mehr als dreissig Jahren mein Leben. Es war vor einigen Jahren in meinem Revier am Stadtrand von Winterthur. Ich kam vom Morgenansitz zurück. Eine junge Mutter mit ihrem vielleicht achtjährigen Sohn kreuzte meinen Weg. So vernehmlich, dass ich es hören musste, sagte sie zu ihm: «Sieh mal, das ist jetzt ein Mörder!» Ich blieb stehen, stellte mich vor und erwiderte: «Sie sollten den Buben richtig informieren. Ich bin sogar ein Lustmörder. Ich finde es nicht nur richtig, was ich tue, ich habe auch Freude daran.» Das war natürlich überspitzt. Nein, ich empfinde keine Lust, wenn ich abdrücke, so wenig, wie wenn ich im Herbst einen Apfel vom Baum pflücke. Ich tue es eher selten, mit Bedacht, möglichst nie impulsiv oder hastig. Ich mustere das Tier genau. Ist es schussbar, das heisst, entspricht es den Auswahlkriterien, die das Gesetz und die selbst auferlegten weidmännischen Regeln definiert haben? Steht das Tier so, dass ich einen sicheren Schuss anbringen kann, der schneller und mit weniger Leiden wirkt als jeder Tötungsvorgang im Schlachthof? Aber klar: Das Töten ist Teil der Jagd. Salvador de Madariaga, spanischer Diplomat und Autor, hat es mit einem schwierigen, aber für mich stimmigen Satz ausgedrückt: «Ich jage nicht, um zu töten; ich töte, um gejagt zu haben.» Wir Jäger müssen uns eingestehen: Hier liegt der Hauptgrund für das Misstrauen und die Ablehnung, die uns manchmal entgegenschlagen. Ich verstehe und respektiere diese Vorbehalte; ich lasse die emotionale Ablehnung stehen und versuche unser Tun zu erklären. Die junge Mutter und ihr Bub haben mir übrigens aufmerksam zugehört. Nach zwanzig Minuten haben wir uns freundlich verabschiedet. Manchmal sehe ich die beiden im Revier. Dann müssen wir lächeln. Schweigen und lauschen Warum heute noch jagen? Niemand ist mehr darauf angewiesen, um die Familie zu ernähren. (Noch bis in die Nachkriegszeit hinein war das anders; viele Jäger und Wilderer in den Alpen jagten um des Fleisches willen.) Auch Tradition und gesellschaftlicher Brauch allein tragen nicht mehr, wie wir gesehen haben. Die Abwehr von gefährlichen Raubtieren steht dem gewöhnlichen Jäger nicht zu, höchstens und in Ausnahmefällen, wie soeben im Wallis, dem beamteten Wildhüter. Ja, was ist es denn dann? Zunächst ist es einfach die Freude. Das magische Erlebnis, schweigend und lauschend den Anbruch des neuen Tages zu erleben. Vermutlich ist auch die temporäre Rückkehr zur Tradition, das heisst zur Lebensart von früher, nicht das geringste unter den Motiven, die heutige Menschen noch zur Jagd führen. Indem ich Fährten lese, den Wind prüfe, Schuss- und Pirschzeichen deute und Brüche lege, bewahre ich verloren geglaubte Kulturtechniken für die Nachwelt. In der Tradition des alten Weidwerks – eines Handwerks eben, nicht eines Hobbys – übe ich mich, meist ungeschickt genug, in Fertigkeiten, welche die arbeitsteilige Welt vom modernen Menschen längst nicht mehr fordert: pirschen, schiessen, das getötete Wild versorgen, das erbeutete Tier aus der Decke schlagen und zerwirken, Hunde führen, das Horn blasen, Feuer anfachen, kochen. Wer so wieder einmal die ganze Nahrungskette durchdekliniert, isst und geniesst mit einem anderen Gefühl und einem neuen Bewusstsein. Mir persönlich hilft die Jagd auch, die Bodenhaftung zu bewahren. Ich bin dankbar, unter meinen Jagdkameraden einen Querschnitt des Volks anzutreffen, vom Polizisten und Zimmermann bis zum Bauern und zum Professor. Wir sind, jeder mit seinen Begabungen und Schwächen, Gleiche unter Gleichen. Die Jagd erdet ihre Anhänger. Sodann hat die Jagd zu allen Epochen immer auch eine ausgesprochen weitläufige Kultur mit eingeschlossen: Musik, Gesang, Skulptur, Malerei und das ganze, weite Feld der Kunsthandwerke – von Gravur und Schnitzerei bis zur Kunst der Büchsenmacher und der Messerschmiede, der Sattler, Gürtler, Drechsler, Kürschner und Präparatoren, zur Kochkunst und zur Verlängerung der Verwertungskette der Jagdbeute: Räuchern, Pökeln, Dörren. Je mehr ich vom Jagen und von den Gejagten weiss, desto stärker wird mein Lebensstil durch Natur und Weidwerk geprägt. Verbundenheit mit der Natur und Tieren, Respekt vor der Schöpfung, Achtsamkeit in Umweltverhalten und Ressourcengebrauch verfestigen sich zur Lebenshaltung und zu einem Gerüst der Werte. Vor diesem Hintergrund habe ich auch keinen Anlass, mich für den «ökologischen Fussabdruck», den ich als Jäger hinterlasse, zu schämen. Unsere nachhaltige und behördlich eng reglementierte Art des Jagens ist ein Beitrag zur Regulierung der Wildbestände, die durch die Übernutzung der Landschaft und die Exzesse der Zivilisation durcheinandergeraten sind. Die Regulierung der Wildschweine ist nur ein Beispiel, diejenige der Füchse ein anderes. Die Jagd prägt unsere Sprache Können wir uns auf Folgendes einigen? Jagd ist ein Teil unserer menschlichen Aktivität und gehört als uralte Kulturtechnik zu unserem Erbe. Für die einen ist sie wichtig, den anderen ist sie gleichgültig. Prägend ist sie allemal, wie schon unsere Alltagssprache verrät. Wir pirschen uns an. Blattschuss? Wir bringen zur Strecke. Manchmal geht etwas durch die Lappen, oder es wird abgeblasen. Mitunter kommt es zum Kesseltreiben oder zu einer Hatz. Erfolge kann ich mir an den Hut stecken. Wir Jäger zählen uns mit Überzeugung und mit Recht zu den Naturfreunden und ‑schützern; wir gehören unter den Ausübenden von etwa 50 Sommer- und Winteraktivitäten in unseren Wäldern zu der Minderheit, die die Natur nicht einfach konsumieren, sondern auch aktiv etwas für sie tun. Als Revierpächter verpflichten wir uns auf acht Jahre verbindlich zu nicht geringen Leistungen. Dabei ist es nicht einmal die Hauptsache, aber erwähnenswert, dass wir zusammen mit den Fischern die Einzigen sind, die für ihre naturverbundene Passion bezahlen und keine Subventionen verlangen. Wir engagieren uns in vielfältiger Weise und häufig zusammen mit den lokalen Naturschützern für Biotophegeprojekte aller Art, in der Revierpflege, Wildunfallverhütung, Fallwildbergung und mehr. Ohne die Jäger wäre weder die Wiederansiedlung der Steinböcke noch der Bartgeier gelungen. Mit Ausnahme des Genfer Jagdverbots von 1972 haben die Schweizer Stimmbürgerinnen und ‑bürger bis jetzt alle Initiativen zurückgewiesen, welche die Jagd verbieten oder behindern wollten. Aus den wenigen vorhandenen Umfragen spricht wohlwollende Gleichgültigkeit. Nicht Radikalforderungen werden in den vor uns liegenden Jahren das Problem sein, sondern die Auseinandersetzung mit Einzelfragen, welche die Jagd direkt betreffen oder indirekt berühren. Der Tierschutz greift die Baujagd auf Fuchs und Dachs an und sabotiert mit seiner undifferenzierten Anti-Pelz-Kampagne den Absatz der Pelze weidgerecht erlegter Füchse und Marder. Der Vogelschutz fordert in Verkennung der regional sehr unterschiedlichen Bestände und Verhältnisse einen flächendeckenden Artenschutz auf nationaler Ebene. Projekte für Nationalparks und Schutzgebiete enthalten offene oder versteckte Jagdverbote. Mit Argumenten des Lärm- und Bodenschutzes werden Jagdschiessanlagen behindert und bekämpft wie in Embrach; zugleich fordert der Tierschutz – hier durchaus einig mit den Jagdverbänden – eine bessere Schiessausbildung und eine regelmässige Prüfung der Schiessfertigkeit. Jagd ist vieles in einem: gesetzlicher Anspruch, öffentliche Aufgabe und noble Selbstverpflichtung, ein ländlicher, aber nicht zwangsläufig konservativ geprägter Lebensstil.

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